Marie-Josée Jacobs: Die Zukunft gehört der Jugend!

Luxemburger Wort: Wie sehen Sie als Jugendministerin die Jugend von heute? Gibt es die überhaupt?

Marie-Josee Jacobs: "Die Jugend" oder "die Jugendlichen" gibt es nicht. Bei Aussagen über die Jugend muss immer berücksichtigt werden, dass es sich um eine sehr bunte und vielfältige Gruppe handelt.

LW: Was unterscheidet Jugendliche?

M.-J. Jacobs: Selbst wenn Jugendliche ein und derselben Altersgruppe angehören, unterscheiden sich ihre Lebensbedingungen doch stark voneinander. Sie werden beeinflusst vom sozialen Status und den beruflichen Möglichkeiten der Eltern, von regionalen Besonderheiten, vom Geschlecht und von ihrer kulturellen Zugehörigkeit.

LW: Ist die Jugendphase für Sie eine Übergangsphase?

M.-J. Jacobs: Sie wird allgemein so verstanden. Es sind die Jahre vom Beginn der Pubertät bis zum Erwachsenenalter, das normalerweise mit dem Eintritt ins Berufsleben gleichgesetzt wird. Während diese Phase früher vergleichsweise kurz und überschaubar war, ist sie inzwischen durch die längere Verweildauer der Jugendlichen im Bildungssystem zu einer eigenständigen Lebensphase geworden.

LW: Viele Experten sprechen von einem größeren Freiraum der Jugend von heute...

M.-J. Jacobs: Den gibt es in der Tat. Dieser gewachsene Gestaltungsspielraum birgt Chancen und Risiken zugleich. Er bedeutet auf der einen Seite einen Gewinn an Entscheidungschancen und frei wählbaren Lebensstilen. Auf der anderen Seite aber auch den Verlust der schützenden Familie. In unserer neuen Gesellschaft müssen die Jugendlichen zwar nicht länger den klar abgesteckten Pfaden folgen, die noch für die biographische Entwicklung ihrer Eltern maßgeblich waren. Aber sie können es auch nicht mehr.

LW: Müssen die Jugendlichen heute flexibler sein als früher?

M.-J. Jacobs: Das müssen sie. Auch autonomer, wenn es darum geht, das Leben in unterschiedlichen Etappen zu denken und sich auf eine ständig verändernde Biographie mit unvorhersehbaren Lebenswegen und Zeiten des Experimentierens einzustellen. Früher und in anderer Form als bei vorherigen Generationen ist ihr eigenverantwortliches Handeln gefragt. Mit der Verlängerung der Jugendphase und dem kulturellen Pluralismus der Gesellschaft geht eine stärkere Ausprägung von Individualität einher.

LW: Wie sieht die Rückseite der Freiheits-Medaille aus?

M.-J. Jacobs: Die Kehrseite dieser Selbstbestimmung und Chancenvielfalt ist, dass junge Menschen aufgrund ihrer individualisierten Lebenslagen kaum noch in Solidargemeinschaften eingebettet sind. Dies bringt nicht nur einen Mangel an Orientierung mit sich, sondern führt auch dazu, dass sie weniger gewöhnt sind, für andere mitzudenken und zu handeln. Hier besteht auch die Gefahr dass demokratische Prinzipien in einer von Vereinzelung geprägten Gesellschaft zunehmend in den Hintergrund rücken.

LW: Was haben die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen für Folgen?

M.-J. Jacobs: Die Jugendlichen können ganz neue, eigenständige Lebensstile entfalten. Die Bedeutung der Familie tritt dabei zugunsten der Gruppe der Gleichaltrigen, der "peers", zurück. Und diese "peer groups" sind – insbesondere in Luxemburg, wo 42,6 Prozent der Jugendlichen zwischen zwölf und 24 Jahren einer anderen Nationalität angehören – zunehmend multikulturell zusammengesetzt. Anders als für die vorigen Generationen gehört es für Jugendliche heute zum Alltag, sich mit dem Selbstverständnis verschiedener ethnischer Gruppen auseinanderzusetzen.

LW: Leicht haben es die Jugendlichen also nicht?

M.-J. Jacobs: Sicher nicht. Auch die neue Studie über "das Wohlbefinden der Jugendlichen in Luxemburg" des Erziehungs- und des Gesundheitsministeriums schildert in anderen Worten diese Situation der Jugendlichen. Ich sehe unsere Jugend jedoch sehr positiv. Aufgabe der Erwachsenen ist es, sie auf ihrem Weg zu unterstützen.

LW: Jugendpolitik ist ein relativ neues Politikfeld. Was sind die Ziele der luxemburgischen Jugendpolitik?

M.-J. Jacobs: Unser großes Ziel ist eine soziale, gesellschaftliche und berufliche Integration aller Jugendlichen unter den speziellen Bedingungen unserer multikulturellen Gesellschaft. Auch die politischen Aktionspläne der vergangenen Jahre sind als ein Konzept zu verstehen für eine globale Jugendpolitik in Luxemburg.

LW: Können Sie Beispiele nennen?

M.-J. Jacobs: Etwa die drei Aktionspläne "Participation des jeunes", "Communication avec des jeunes" und "Travail de jeunesse, bénévolat, partenariat". Auch der "Plan communal jeunesse" ist ein gutes Beispiel. Mit diesem Plan existiert nämlich ein Instrument, bei dem Staat und Gemeinden zusammenarbeiten, um eine mittelfristige Jugendpolitik auf kommunaler Ebene zu entwickeln. Diese orientiert sich vorrangig an den Bedürfnissen und konkreten Lebensbedingungen der Jugendlichen in den Gemeinden.

LW: Besteht nicht die Gefahr, dass die Jugendpolitik einer sich ständig verändernden Jugend hinterherhinkt?

M.-J. Jacobs: Natürlich. Darum muss sie sich auch ständig den Anforderungen der Zeit anpassen. Ich glaube, wir kriegen das recht gut hin. Unsere Aktionspläne werden zurzeit mit allen Beteiligten diskutiert, überprüft und angepasst.

LW: Besteht nicht auch die Gefahr, dass die Jugendpolitik die Jugendlichen bevormunden?

M.-J. Jacobs: Jugendpolitik soll die Jugendlichen begleiten. Auf keinen Fall darf sie an Stelle der jungen Menschen handeln. Die Jugendlichen müssen ihren eigenen Weg wählen. Wir setzen dafür nur den Rahmen und versuchen, die strukturell bedingte Chancenungleichheit abzubauen.

LW: Wie sieht es bei Problemfällen aus?

M.-J. Jacobs: Individuelle Defizite dürfen nicht ins gesellschaftliche Abseits führen. Wir versuchen, die Jugendlichen durch eine aktive Beteiligung in die Gesellschaft zu integrieren.

LW: Theorie ist die eine Sache. Praxis eine ganz andere. Wie sieht es auf dem berühmten "Terrain" aus?

M.-J. Jacobs: Jugendarbeit auf lokaler Ebene entspricht dem Lebensraum der Jugendlichen am Besten. Deshalb ist Jugendpolitik und Jugendarbeit in den Gemeinden so wichtig. Zusammen mit den Kommunen haben wir verstärkt Strukturen aufgebaut, die für Jugendliche leicht zugänglich sind.

LW: Sie sprechen von den Jugendhäusern,...

M.-J. Jacobs: 33 Jugendhäuser bestehen zurzeit. Einige sind noch in Planung. Diese Strukturen werden vom "Service national de la jeunesse" in ihrer Arbeit unterstützt. Dabei legen wir großen Wert auf die Zusammenarbeit mit den bestehenden Jugendorganisationen. Durch Projekte, wie das aktuelle "Letzmulti"-Projekt, sollen die Jugendlichen für ein besseres Miteinander in unserer multikulturellen Gesellschaft sensibilisiert werden.

LW: Gibt es weitere konkrete Projekte?

M.-J. Jacobs: Wir setzen in Zusammenarbeit mit Brüssel auf konkrete Projektförderung. Im Rahmen der nationalen Aktionspläne "Emploi" und "Insertion sociale" wollen wir Träger und Jugendliche ermutigen, auf kreative Weise innovative Konzepte anzugehen.

LW: Die nationalen Jugendstrukturen unterstützen diese Arbeit?

M.-J. Jacobs: Ganz genau. Im neu geschaffenen Haus der Jugend in der Galerie Kons arbeiten sie unter einem Dach zusammen: das "Centre Information jeunes", das Cesije, das "Centre de mediation", die Nationale Agentur des europäischen Jugendprogramms, die Jugendherbergzentrale und die Jugendkonferenz CGJL bieten hier gemeinsam den Jugendlichen, den Eltern und Familien und allen, die mit Jugendlichen arbeiten ihre Dienste an. Länge Wege bleiben so erspart, effiziente Zusammenarbeit ist das Ziel.

LW: Das Jugendministerium unterstützt diese Einrichtungen?

M.-J. Jacobs: Ja. Entweder durch Konventionen oder durch finanzielle Unterstützungen. Dies gilt ebenso für andere große Träger der Jugendarbeit, die das ehrenamtliche Engagement der Jugendlichen fördern wie z. B. die Pfadfinder.

LW: Wie lautet Ihre Botschaft an die Jugend von heute?

M.-J. Jacobs: Sei offen und beweglich! Sei kritisch! Bilde dir Deine eigene Meinung! Handele solidarisch und nutze deine Chancen!

LW: Ist die Jugend von heute besser oder schlechter als früher? Oder einfach anders?

M.-J. Jacobs: Die Jugend ist heute weder besser noch schlechter als früher. Sie lebt in ihrer Zeit mit ihren Herausforderungen, Problemen und auch ihren guten Seiten. Es gibt in dieser Beziehung keinen Unterschied zu den Erwachsenen.

LW: Was bleibt im Bereich Jugendpolitik zu tun?

M.-J. Jacobs: Es gilt immer am Ball zu bleiben. Unsere Strukturen müssen sich permanent anpassen. Der "Service national de la jeunesse" (SNJ) soll in Zukunft verstärkt als ein "Service d'innovation" funktionieren. Der SNJ soll innovative Projekte anregen und neue Ideen auf lokaler und nationaler Ebene fachlich unterstützen. Der neue Aktionsplan soll auch neue Wege der Partizipation von Jugendlichen in der Gesellschaft aufzeigen und umsetzen. Bewusst werden wir auch das multikulturelle Zusammenleben der Jugendlichen fördern.

LW: Gibt es auch einen europäischen Input in die Luxemburger Jugendpolitik?

M.-J. Jacobs: Für 2003 ist ein neuer europäischer Aktionsplan in Sachen Jugendpolitik geplant. Wir werden die Zielkataloge aus Brüssel umsetzen. Großes Gewicht wird dabei auf eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Ministerien gelegt. Wir sind darauf gut vorbereitet.

LW: Was wünschen Sie den Jugendlichen von heute? Wie sieht ihre Zukunft aus?

M.-J. Jacobs: Junge Menschen haben heute in unserem Land viele Möglichkeiten und Chancen. Gleichzeitig lauem aber auch viele Probleme und Gefahren auf sie. Ich denke da an Drogen- und Familienprobleme bis hin zur Obdachlosigkeit. Ich wünsche den Mädchen und Jungen Mut, Neues zu wagen. Es bleibt wichtig, sich in den Jugendorganisationen zu engagieren. Für sich, aber auch für eine bessere Zukunft. Junge Menschen können und sollen die Zukunft mit gestalten Mit Freude, Zuversicht und Mut kann die Zukunft nur positiv aussehen. Die Zukunft gehört der Jugend!

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